Hat Instagram Snapchat getötet?

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Als die Snapchat-Welle vor Jahren meine soziale Blase erfasst hat, wurde die App sofort zur meistgenutzten auf meinem Handy. Meine Augen und Daumen waren an den Screen geklebt, weil die Snaps damals noch verschwanden, sobald man den Finger hob. Meine Freunde und ich führten Unterhaltungen, indem wir Grimassen mit Tierfiltern austauschten. Wir dokumentierten ganze Partynächte, nur um die Hälfte davon bei nüchterner Betrachtung wieder zu löschen. Ich konnte mich eine ganze Busfahrt lang damit beschäftigen, mich durch Stories zu klicken. 

Wenn ich Snapchat heute aufmache, hätte ich neun Stories zur Auswahl; nur drei davon sind von Personen, die ich kenne. Meine letzte gesendete Nachricht ist fast sechs Monate alt. Viele meiner Freunde haben die App bereits gelöscht. Werden wir Snapchat also bald gar nicht mehr kennen? 

Oft wurde der Launch von Instagram Stories als Todesstoß gesehen. Mark Zuckerbergs erfolgreiche Photo-Sharing-App wurde um ein Feature erweitert, das nicht einmal so tut, als wäre es keine exakte Kopie von Snapchats grundlegenden Funktionen. Auf den ersten Blick bietet Instagram außerdem weitere Vorteile. Statt Personen über ihren User-Namen, Snap-Code oder ihre Telefonnummer suchen zu müssen, verfügt jeder Instagram-Nutzer bereits über die gewünschte User-Base, die automatisch durch jede Story erreicht wird. Das führt zu einer höheren Reichweite. Meine Snaps wurden am Höhepunkt meiner Nutzung von ungefähr 70 Menschen gesehen; auf Instagram erreichte ich sofort über 250.

Ein weiterer Vorteil ist die etwas bessere Usability. Snapchat mag hierbei nicht schlecht abschneiden, jedoch ist es nicht immer völlig logisch, wo gewischt, wo gedrückt und wo gehalten werden muss. Instagram kommt dabei zugute, dass die Stories lediglich ein Add-On in einer bereits existierenden App sind, mit deren Look die User bereits vertraut sind. Snapchat musste auch hier bei Null beginnen. So war beispielsweise die Funktionsweise des Chats zu Beginn verwirrend, während Instagram Direct Messages längst nichts Neues mehr waren.

Instagram hat es sogar geschafft, Snapchats wohl beliebtestes Feature nicht nur zu kopieren, sondern ihm auch noch einen eigenen, perfekt zur Plattform passenden Touch zu verleihen: Die Filter. Diese mögen auf Snapchat noch immer ausgefallener und innovativer sein. Instagram spricht hingegen mit simplen, eleganten Designs sehr gezielt die Bedürfnisse seiner User an, lässt sie einen zarten Regenbogen über ihr Gesicht legen und mit jedem Filter besser statt lustiger aussehen.

Sollten wir uns von Snapchat also bereits jetzt verabschieden?

Dafür wäre es zu früh. Denn obwohl Instagram Stories auf den ersten Blick den gleichen Zweck wie Snapchat erfüllen, unterscheidet sich die Art und Ausrichtung der Kommunikation, die darin stattfindet. Die bereits angesprochene User-Base auf Instagram bringt nämlich eine entscheidende Einschränkung mit sich: Die Kommunikation ist nicht privat und daher nicht intim. Wie die Fotos im Feed dienen auch die Inhalte der Insta-Stories primär der Selbstpräsentation. Man teilt möglichst schöne Momente, gefiltert, mit Stickern versehen, eventuell im Boomerang-Modus. Im Vordergrund steht meist die Attraktivität. Auf Snapchat ist das anders: Da die App die Möglichkeit bietet, Rezipienten sehr genau zu selektieren, liegt das Teilen von intimen, ungefilterten Situationen viel näher. Als Snapchat in meinem Freundeskreis gerade sehr beliebt war, hielten wir Insider-Witze aufrecht, indem wir uns immer wieder Snaps in ähnlichen Situationen schickten – an gezielt ausgewählte Personen, wohlgemerkt. Auf Instagram wäre so etwas nicht möglich. Ähnlich wie Facebook benutzen wir Instagram immer mit dem Wissen, dass unsere Inhalte “von allen” gesehen werden. Wir selektieren daher, bereiten vor, löschen unserer Meinung nach nicht gut gelungene Bilder oder Videos wieder. Auf Snapchat liegt die Hemmschwelle viel tiefer, da wir genau auswählen können, wen wir mit unseren Inhalten erreichen.

Selbstverständlich ist trotzdem nicht von der Hand zu weisen, dass Snapchat lange nicht mehr im großen Aufschwung ist und Instagram Stories nicht spurlos am Erfolg der App vorübergeht. Es bleibt zu beobachten, wie Snapchat seine Einzigartigkeit, welche die Plattform durchaus noch immer besitzt, einzusetzen weiß und ob sie es durch weitere Innovationen schafft, sich für immer von ähnlichen Diensten abzusetzen.

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Lina Pospichal
Lina Pospichal war als Onlineredakteurin und Social Media Mastermind schon in führenden österreichischen Medien und mexikanischen Start-ups tätig. Ihre Artikel drehen sich um psychologische und gesellschaftliche Themen, Social Media News und um eine ihrer größten Leidenschaften: das Reisen. Derzeit arbeitet sie daran, auf ihren Master in Kommunikationsmanagement einen Bachelor in Psychologie drauf zu setzen.
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