Wie wir zur Generation Beziehungsunfähig geworden sind

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Als ich vor einiger Zeit meiner Mutter meinen schon lange andauernden Single-Status bestätigte, war ihr Kommentar: “Komisch, wir hatten in dem Alter ständig Beziehungen. Meistens über mehrere Jahre und wenn’s irgendwann nicht mehr funktioniert hat, eben die nächste.” Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Es war ja nicht so, als wollte ich unbedingt Single sein. Tatsächlich wünschen sich immer mehr Menschen zwar eine langfristige Beziehung, führen aber keine. Die Begründung ist oft: “Ich bin einfach beziehungsunfähig.” Stattdessen flüchten viele in unverbindliche Arrangements, um sich nicht einsam zu fühlen. Wieso haben Affären Liebesbeziehungen ersetzt? Wann sind aus Partnern Multiple-Night-Stands geworden?

Ich, ich, ich

“Wer sich auf sich selbst beschränkt, verpasst die Liebe” schreibt der Autor Michael Nast in seinem Buch Generation beziehungsunfähig. Obwohl sein Werk vielmehr eine Sammlung von Beobachtungen als ein Ratgeber ist, begründet Nast die moderne Beziehungsangst mit einem übermäßigen Selbstbezug. Der 40-jährige betont dabei, dass von diesem Phänomen nicht nur die häufig als narzisstisch betitelte Generation Y betroffen ist. Das Unvermögen, sich zu 100% an jemanden zu binden, erfasst sowohl Teenager als auch Menschen in ihren Fünfzigern.

Der Wunsch nach einer langfristigen Partnerschaft besteht noch immer, doch die Funktion derselben hat sich verändert. Es ist nicht mehr genug, sich mit jemandem wohl zu fühlen und einfach “nur” glücklich zu sein. Eine Beziehung ist erst dann gut, wenn sie einem nützt. Sie muss gut zu unserem derzeitigen Lebensstil passen und darf unseren Zielen nicht im Weg stehen. Ist das nicht mehr der Fall, wird sie beendet. Besteht die Möglichkeit, dass uns ein anderer Partner besser ins Leben passt, ebenfalls. Beziehungen werden nicht mehr aufgrund der Sache an sich geführt, sondern stellen ein Element auf unserem Weg zur Selbstverwirklichung und -optimierung dar. Und da es durch das Internet unzählige Optionen dafür gibt, gibt es auch immer jemanden, der diese Anforderung theoretisch noch besser erfüllen kann.

Doch sogar, wenn ein Partner gerade perfekt in diese Rolle passt: Ändern sich unsere Ziele, endet die Beziehung. Wir sind viel seltener bereit, an einem Verhältnis, das nicht mehr reibungslos funktioniert, zu arbeiten. Denn das würde uns selbst im Weg stehen und wir sind uns selbst wichtiger. Diesen Gedanken kann man noch weiterspinnen: Wieso sollte man eine feste Bindung eingehen, wenn man sich nicht zu 100% sicher ist, dass sie über eine lange Zeit funktionieren kann? Was, wenn sie einem in der Zukunft Steine in den Weg legt? Was, wenn sie später dramatisch zu Ende geht und mich der Trennungsschmerz in eine Krise stürzt? Wir denken voraus, analysieren und wägen ab. Das Optimierungsstreben unserer modernen Gesellschaft hat längst auch die Liebe erfasst.

Die Liebe weg-swipen

Schon oft wurden Tinder und andere Dating-Apps als Grund für die steigende Dysfunktionalität unserer Liebesleben angeprangert. Letztendlich ist das riesige Online-Angebot an potenziellen Partnern eher ein Symptom als die Ursache. Die Unwilligkeit, sich vollkommen einer Person zu verschreiben, beruht auf dem ständigen Streben nach Optimierung. Denn mit jeder Entscheidung werden andere Optionen ausgeschlossen, die ja vielleicht zu mehr Erfolg, mehr Glück, mehr von allem führen könnten.

Selbstverständlich macht Online-Dating diese Wankelmütigkeit viel einfacher. Schließlich ist es leichter, in Jogginghose auf der Couch zu sitzen und sich durch seine Aussichten zu wischen, als diese in einer Bar anzusprechen und auf ihre Kompatibilität zu prüfen. Dadurch wird es auch einfacher, in einer bestehenden Beziehung “Ausschau zu halten”. Ein Flirt in einer Bar wirkt viel handfester als ein Like auf einem virtuellen Profil – auch, wenn dieser ironischerweise leichter zurückverfolgt werden kann. Wie auf einem Silbertablett wird uns präsentiert, wieviele Menschen unsere hohen Ansprüche womöglich besser erfüllen könnten.

Das ist uns auch während Streits und Komplikationen bewusst. Nach der Trennung müssten wir nicht alleine sein; wir könnten eine Minute später Tinder öffnen und los-swipen. Natürlich könnte man in der Offline-Version auch sofort nach Beziehungsende in eine Bar gehen und jemanden mit nach Hause nehmen. Doch der Aufwand und der Grad der Selbstoffenbarung dabei ist ein völlig anderer. Die leichte und schnelle Verfügbarkeit von etwas, das zumindest unsere oberflächlichen Bedürfnisse nach menschlicher Nähe erfüllt, ist unnatürlich.

Perfekt statt gut genug

Die Art, wie wir Beziehungen führen und die Rolle, welche diese in unserem Leben einnehmen, wird selbstverständlich auch von gesellschaftlichen Veränderungen geprägt. Nach dem Krieg war ein Partner ein Garant für mehr Sicherheit und Wohlstand. Die Partnerschaft war vor allem dazu da, um das Leben gemeinsam zu bewältigen. Heute können wir das mit Leichtigkeit alleine; der Partner soll uns vor allem nicht daran hindern. Wir benötigen keine zweite Person, um uns eine Wohnung leisten zu können. Auch alleinige Elternschaft wird immer leichter. Außerdem hat sich das gesellschaftliche Ansehen von Familie und Ehe stark verändert. Single und kinderlos zu sein, wird immer normaler. All diese Aspekte sind selbstverständlich auch positiv: Wir bleiben nicht mehr aus reiner Zweckmäßigkeit in Beziehungen. Verhältnisse, die uns unglücklich machen, sind zumindest aufgrund äußerer Bedingungen leichter zu beenden.

Jedoch wird diese Denkweise heutzutage oft auf die Spitze getrieben. Die Ansprüche an Beziehungen sind ins Unermessliche gestiegen und nicht selten von einer realen Person nicht zu erfüllen. Begründet kann das durch die Veränderung unserer Bedürfnisse werden. Während sich unsere Vorfahren um Hunger und ein Dach über dem Kopf sorgen mussten, ist dieser Grundbedarf kein Thema mehr für uns. Unsere Grundbedürfnisse werden daher durch höhere ergänzt, wie Prestige, Selbstverwirklichung und Autonomie. Steht eine Beziehung einem dieser Ansprüche im Weg, zerbricht sie.

Es wird interessant, zu beobachten, wie diese Entwicklung voranschreitet. “Aussterben” werden langfristige Beziehungen – zum Glück – nie, da der Wunsch nach der klassischen, stabilen Partnerschaft allgemein nicht abnimmt. Wir erfüllen ihn uns nur selbst immer seltener, weil wir anderen Wünschen Priorität geben. Meine Mutter ist übrigens mittlerweile Langzeit-Single. Sie pendelt aufgrund ihres Jobs fast täglich und hat schon lange niemanden mehr kennen gelernt, der zu diesem Rhythmus passt.

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Harriet von Behr
Harriet von Behr ist gelernte Verlagsbuchhändlerin, studierte anschließend Germanistik und Theaterwissenschaft und arbeitete während und nach dem Studium für mehrere Verlage im Lektorat. Aktuell schreibt sie u.a. für TheMan Artikel zu den verschiedensten Themen.
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